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GEISTLICHE NOTIZEN Gebt Ihr ihnen zu essen. Von Präses Thorsten Latzel

  • Andacht

Christus lässt sich am besten kulinarisch verstehen, sagt Thorsten Latzel. Christstein heißt, miteinander essen zu können. Ohne Sitzordnung und Zugangskontrolle. Eine Andacht mit fünf Thesen zu einer protestantisch-sportlichen Spiritualität

Manchmal sind die eigenen Gegner, die, mit denen man Stress hat, paradoxerweise zugleich diejenigen, die einen am besten verstehen. So ist das zumindest bei Jesus. Die Jünger Jesu gehen etwa in den Evangelien ja zielsicher immer in die Irre. Sie verstehen ihn notorisch falsch. Doch seine Gegner beschreiben exakt das, was Jesus ausmacht. Gleichsam sein Alleinstellungsmerkmal als Christus. „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“

Pointiert formuliert: Christus lässt sich am besten kulinarisch verstehen. Er ist kein Mitesser, das sei ferne. Aber ein grenzenloser Mit-Anderen-Esser. 

Beim Essen zeigen sich ja schnell Unverträglichkeiten der verschiedensten Art. Jede und jeder, die oder der mal ein größeres Essen organisiert hat, weiß, wovon ich rede. Das fängt bei den Speisen an: Vegetarisch, vegan, fruktarisch, Diabetes, Zöliakie, Lactose-Intoleranz, Nahrungsmittelallergie. 

Und es geht bis zu den Menschen, mit denen man isst.

Die Unverträglichkeiten damals: Juden und Heiden, Fromme und Sünder, Sklaven und Freie, Männer und Frauen. 

Unverträglichkeiten heute: Klima-Wandel-Leugner, Umweltaktivistin, Impfgegner oder -Impfbefürworterin, AfD-Wähler, strenge Muslima, Pazifist, Putin-Anhänger, Menschen mit und ohne Behinderung, Fans von Florian Silbereisen, Anhänger von Bayern München.

"Miteinander essen zu können. Mit allen anderen"

Mal ehrlich: Wie divers sind eigentlich meine, Ihre Essgemeinschaften?  

Der katholische Theologe Franz Mußner hat es einmal so ausgedrückt: "Christstein heißt: Miteinander essen können. Mit allen anderen."

Womit wir bei unseren Kirchen und ihrer Mitte wären:

Wenn Sie in eine unserer gut 1.000 Kirchen gehen, ist es ja interessant zu sehen, wie sie sozialräumlich strukturiert sind.

Da gibt es bestimmte Sitzplätze: die einen für Presbyterinnen, die anderen für die Konfirmand-/innen. Manche für die Indigenen der Kerngemeinde, andere für die Zaungäste. Es gibt Kirchen mit Kreuz und – gut reformiert – auch ohne. Mit hoher, niedriger oder manchmal ganz ohne besondere Kanzel.

Mit Blick auf das kulinarische Christus-Verständnis ist jedoch wichtig: 

In der Mitte, im Zentrum jeder unserer Kirchen steht ein Tisch.

Der Tisch des Herrn.

Das ist maßgeblich für die Nachfolge Christi.

 

Der Tisch von Jesus Christus als Herrn der Welt unterscheidet sich markant von den Tischen der vermeintlichen Herren der Welt.

Das wurde für mich im letzten Jahr eindrücklich deutlich an der Selbstinszenierung Putins. An einer sieben Meter langen weißen Tafel sitzt er vor Kopf und hält alle anderen Besucher-/innen als Bittsteller auf maximalen Abstand. Nur beim Besuch des chinesischen Chefdiplomaten Wang Yi vor ein paar Wochen war diese Ordnung durchbrochen.
Ausdruck politischer Machtverhältnisse.

Erstmal das theologische Badetuch hinlegen

Der Tisch Christi dagegen ist ein Tisch ohne Stühle, ohne feste Plätze, ohne oben und unten.

Auch Petrus, der Christus verleugnet, auch Judas, der ihn ausliefert, auch die anderen, die Christus im Stich lassen, haben an ihm Platz.

Und mit ihnen auch ich.

Auch wenn wir in 2000 Jahren Kirchengeschichte diesen radikal egalitäre Ansatz des Evangeliums immer wieder zu unterlaufen versuchen. Ähnlich wie die Söhne des Zebedäus, die sich einen Platz rechts und links von Jesus zu sichern versuchen. Erst schon einmal das theologische Badetuch hinlegen.

Mittlerweile glaube ich übrigens, dass es bei den langen ökumenischen Streitigkeiten um das Abendmahl im Letzten eigentlich nie um die Gegenwart Christi ging.

Die bleibt ein Geheimnis, lässt sich verschieden interpretieren, und dennoch kann man gut zusammen Mahlgemeinschaft feiern. Das eigentliche Thema bei den Streitigkeiten ist Deutungsmacht: Wer entscheidet, wer am Tisch Platz nehmen darf und wer nicht?

Ist es Christus als Einladender oder sind wir es als Chefinterpreten?

Die Abendmahlsstreitereien sind ein Streit zwischen Gästen, die gerne theologische Türsteher und Platzanweiser sein wollen. Die Frage nach der Präsenz Christi ist eine nach gegenseitiger Anerkennung. Pointiert formuliert: Christus ist im anderen gegenwärtig.

Wenn wir einander ausschließen, schließen wir Christus aus. Unseren eigentlichen Auftrag hat Jesus dagegen anders formuliert:

„Gebt Ihr ihnen zu essen.“

So lautet sein Auftrag an die Jünger-/innen bei der Speisung der 5000. Wir sind gesandt, mit anderen zu essen, Hungernde satt zu machen und neue Tischgemeinschaften zu stiften.  Ohne Sitzordnung und Zugangskontrolle.

„Diese nehmen die Ausgegrenzten an und essen mit ihnen.“


Das ist das Alleinstellungsmerkmal von uns als Christ-/innen. Wir sind berufen, mit anderen zu essen. Ganz konkret und wörtlich. Dabei geht es um Bewegung, Hingabe und Gemeinschaft.

„Geh hin zu denen, mit denen sonst niemand isst.“

„Setz Dich mit ihnen an einen Tisch.“

 „Und gib mit Deinem Essen letztlich Dich selber hin.“

Das mag etwas sozialromantisch klingen. Aber ich glaube tatsächlich, dass das Wesen des Christentums genau darin liegt: Wir sollen in der Nachfolge des Gekreuzigten Feinde lieben, miteinander essen und Sozialräume revolutionieren.

Doch: Was hat das nun mit protestantisch-sportlicher Spiritualität zu tun?

In meinem Amt als Präses bin ich ja auch Sportbeauftragter der EKD. Ich glaube, dass wir für unser Christsein viel vom Sport lernen können. Weil es im Glauben wie Sport um eine tiefe, innere Haltung geht.

Daher abschließend fünf kurze Thesen zu einer protestantisch-sportlichen Spiritualität:

1. Sportler-/in ist man, wenn man Sport treibt.

Wenn man rausgeht, läuft, kämpft, trainiert.

So ist das auch beim Glauben. Er ist eine Lebenspraxis.

Glaube und Sport passieren nicht auf dem Sofa. Keine „sad stories about glory days“.

Dazu braucht es Training, Übung, Lebenspraxis.

2. Entscheidend ist, was auf dem Platz passiert.

Der Platz des Glaubens ist der Tisch des Herrn: Er steht überall dort, wo unbedingte Gemeinschaft mit anderen gelebt wird.

Wo wir Brot und Gott; Essen, Leben und Segen mit einander teilen
Am Couchtisch im Wohnzimmer des einsamen Nachbarn.
Am improvisierten Klapptisch in einem der vielen Krisengebiete.

Am Reisetisch im ICE beim Gespräch mit Fremden.
Am Tablett im Pflege- und Seniorenheim.

Hungrige satt machen. Fremden Heimat geben. Kranke und Gefangene besuchen.  „Beten und Tun des Gerechten.“ (Bonhoeffer)

3. Glaube wie Sport schaffen Beziehungen eigener Art.

Im Sport zählt nicht, wie Du aussiehst, woher Du kommst, was Du hast, sondern letztlich, was Du kannst.

Im Glauben zählt nicht, wie Du aussiehst, woher Du kommst, was Du hast, noch nicht einmal, was Du kannst. Sondern schlicht: dass Du bist.

Unsere Aufgabe ist es, einander so mit den Augen Gottes zu sehen.


4. Glaube gleicht darin Individual- wie Mannschaftssport.

Der Glaube gleicht Individualsport, weil jede und jeder von uns vor Gott letztlich unvertretbar ist. Da muss jeder alleine ran.

Keine kann das Glauben, Hoffen, Lieben der anderen abnehmen.

So wenig für andere trainieren können.

Und der Glaube gleicht dem Mannschaftssport,
weil es um Wahrheiten geht, die wir uns selbst nicht sagen können.

Wir sind Beziehungswesen. Von Anfang an.

Angewiesen auf Glauben, Hoffnung, Liebe voneinander.

 

Und 5. Sport wie Glaube haben einen zutiefst utopischen Charakter.

Training wie gelebte Glaubenshoffnung sind zukunftsoffen.

Es ist noch erschienen, wer wir sein werden, wie der neue Himmel und Erde aussehen werden.“

Deswegen teilen wir hemmungslos mit anderen Brot, nehmen einander unbedingt an –  bis Christus dies einmal für uns tun wird in Herrlichkeit. Amen.

Dr. Thorsten Latzel ist Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Diese Andacht hielt er  beim Pfarrkonvent des Kirchenkreis An der Agger bei seinem Besuch im März. 

www.ekagger.de | jth | Text: Thorsten Latzel | Foto: Kirchenkreis An der Agger/J.Thies 

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Präses Thorsten Latzel ist sehr sportlich. "Glaube ist wie Sport - beides kann man nicht vom Sofa aus machen. Und man kann sich nicht auf vergangenen Erfolgen ausruhen."

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Beim Pfarrkonvent des Kirchenkreises im Gemeindezentrum Drabenderhöhe hielt Thorsten Latzel, Präses der rheinischen Kirche, die Andacht.